Seit heute gelten in Bayern strenge Ausgangsbeschränkungen. Das heißt: Ohne triftigen Grund darf keiner mehr vor die Tür. Zum Glück fallen auch Radfahren und Spazierengehen in diese Kategorie. Wenn man allein unterwegs ist – oder mit den Menschen, mit denen man zusammenwohnt. Immerhin ein Lichtblick.
München ist über Nacht zu einer Geisterstadt geworden. Die Polizei fährt am Samstagnachmittag durch die menschenleeren Straßen und fordert die Mitbürgerinnen und Mitbürger über Lautsprecher dazu auf, die Häuser nicht zu verlassen.
Also befinden wir uns doch im Krieg? Es fühlt sich fast so an. Oder nimmt man nur an, dass es sich wohl so anfühlen muss, weil man es selbst noch nicht erlebt hat? Was heute passiert, ist sicher alles kein Vergleich zu damals, mit Fliegeralarm, Verdunkelung und durchwachten Nächten im Luftschutzkeller. Aber wir haben bereits den Punkt erreicht, wo aus Absurdität Alltag geworden ist.
Die große Frage ist, wann die Zahl der Infizierten stagnieren wird. Ob es reicht, das öffentliche Leben für zwei Wochen komplett herunterzufahren. Oder ob es vielleicht noch länger dauern wird.
Schritt, Atemzug, Besenstrich
Es kommt mir so vor als lägen die Tage vor uns wie eine lange Straße, deren Ende nicht in Sicht ist. Vielleicht genau der richtige Zeitpunkt, um eine Nebenfigur aus einem sehr berühmten Kinderbuch zu Wort kommen zu lassen, die – wie sich in den letzten Tagen herausgestellt hat – einen systemrelevanten Beruf ausübt und wissen muss, wovon sie spricht: Beppo Straßenkehrer.

„Siehst du, Momo“, sagte er dann zum Beispiel, „es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.“
Er blickte eine Weile vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“
Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“
Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“
Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“ Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: „Das ist wichtig.“
Michael Ende: Momo. Thienemann
Auch der japanische Künstler Tatsuya Tanaka hat die Gabe, Alltagsgegenstände in ein neues Licht zu rücken. Selbst wenn man versucht ist, die kommenden Tage einfach nur irgendwie im Kalender abhaken zu wollen, so wird man doch bei seinem Miniatur Calendar wenigstens einmal am Tag überrascht.