Heute vor 110 Jahren und einem Tag starb Mark Twain. Ein Schriftsteller, den ich sehr schätze, auch wenn ich mit Die Abenteuer des Tom Sawyer nicht sehr viel anfangen konnte, als ich diesen Klassiker in Kindertagen zum ersten Mal aus der Bücherei ausgeliehen habe. Umso mehr liebte ich die Hörspielvariante, die als Kassette (!) über drei Ecken irgendwann bei uns Zuhause aufschlug und rauf und runter gespielt wurde bevor sie eines Tages das Zeitliche segnete.
Viel spannender als Mark Twains Jugendromane finde ich mittlerweile aber seine stets amüsanten Reiseberichte und bissigen Essays. Eines davon – Die schreckliche deutsche Sprache – hat mich solange verfolgt, bis ich irgendwann diesen Text geschrieben und beim Poetry Slam vorgetragen habe. Es gab ein Zeitlimit von fünf Minuten. Das heißt: Ich musste ziemlich schnell sprechen.
Aber Ihr könnt Euch beim Lesen ruhig Zeit lassen.
1.
März 1878
„Die Leute (hier) glauben, die Indianer stehen in New Jersey“Mark Twain hat viele Bücher geschrieben,
Daniela Schmitt
hat sich nicht nur auf dem Mississippi rumgetrieben,
hat die Welt bereist
von New Orleans bis Hawaii
und unser kleines Deutschland
das war auch dabei.
Im März achtzehn achtundsiebzig,
samstags, kurz nach halb zehn,
ging er an Bord,
um sich good old Europe anzusehen.
So schifft er sich in Hamburg ein,
besucht danach Frankfurt am Main,
verliert an Heidelberg sein Herz
und schippert neckarstromabwärts
als Passagier auf einem Floß.
Schaut sich das schöne Deutschland an
und wandert und wundert sich simultan.
Erzählt von ihm fremden Sitten und Bräuchen,
bestaunt Misthaufenreichtum und Vogelscheuchen,
schwärmt von Biergärten, Gamsbärten, Knotenstöcken
und grazilen Damen mit flatternden Röcken…
und frönt selbstredend über kurz oder lang
natürlich auch Wein, Weib und Gesang.
Wagt Wagner zu hören –
und sich zu empören,
denn es fehlt ihm der Sinn
für den Lohengrin …
Und als er der fünfstündige Oper mit schlechtem Tenor
endlich(!) entflohen ist, so nimmt er sich vor:
Alles was recht ist, doch jetzt will ich nur
vor allem eins noch: zurück zur Natur!
Sucht Erholung von diesem entsetzlichen Krach
und lauscht der klappernden Mühle am rauschenden Bach,
entdeckt so die deutschen Lieder und Sagen
und will sie ins Englische übertragen:
den Schelm von Bergen,,
die Lorelei
und die ein oder andere Spukgeschichte
liest man (da) in seinem Reiseberichte.
Er glaubt sich mit allem Wassern gewaschen,
denkt, ihn kann nichts mehr überraschen.
Doch dann verschreckt ihn,
ihr ahnt es schon:
unser „furchteinflößendes Idiom“
die deutsche Sprache.
2.
„Wer nie Deutsch gelernt hat,
macht sich keinen Begriff wie verwirrend diese Sprache ist.“
Dieses Urteil darf sich Mark Twain erlauben,
denn er hat – obwohl’s kaum zu glauben
ist, versucht, unsere Sprache zu verstehn
und ihren Rätseln auf den Grund zu gehen.
Hat Vokabeln und Grammatik studiert
und war ohne Zweifel von ihr fasziniert.
Doch stellt fest, dass gerade die Ordnung es ist,
die er bei der deutschen Sprache vermisst.
Englisch und Deutsch sind zwar verwandt,
das war Mark Twain durchaus bekannt,
doch was früher einmal war sehr eng verbandelt
hat sich im Laufe der Zeit halt gewandelt.
Mag sein, dass bei uns alles etwas komplizierter
ist…. doch dadurch auch um Längen definierter.
Die deutsche Sprache ist eine Bastion,
die erobert werden will,
und wer sagt denn schon,
dass man sie lieben muss,
– das hat sie nie verlangt.
Doch steht ihr zu sie ohne Misstrauen und Hinterlist
als Kusine dritten Grades so zu nehmen wie sie ist.
Er hat sich redlich bemüht,
das muss man ihm lassen,
es steht ihm durchaus zu unsere Sprache zu hassen.
Doch – anstatt sich weiter zu schinden
und sich mit den Problemen abzufinden,
tat Mark Twain nun
was alle Schriftsteller tun
wenn sie Seelenqualen leiden:
Er begann sich den Frust von der Seele zu schreiben.
„The awful German language“
so heißt sein Pamphlet
worin es uns’rer Sprache an der Kragen geht.
So sei das, was wir fremden Ohren zumuten
in seinen Augen, eindeutig zu viel des Guten.
Denn selbst dem eifrigsten Schüler verginge schon der Spaß
beim sinnlosen Pauken des „der – die – das“
(denn) Es heißt:
Der Mann. Alles klar.
Die Frau. Wunderbar.
Der Junge. Ok.
Doch:
Das Mädchen!
Trotz „ihrer“ Anmut bleibt „es“ sachlich –
und somit sei es mehr als fraglich,
warum man – wenn man sich schon drei Geschlechter gönne! –
eben jene nicht auch gleich korrekt verteilen könne.
Ein solch lockerer Umgang mit der Sprachkultur
verrohe auch letztendlich unsere Satzstruktur,
wozu, um nur einmal ein Beispiel zu nennen
auch die Unart gehöre, Verben zu trennen.
Man scheide auf, man reiße ab, man schreibe auseinander
und würfe so die Sätze gründlich durcheinander…
was das Verständnis eines Textes doch sehr erschwere
und noch dazu an der Geduld des Lesers zehre
dessen Blicke verzweifelt die Zeilen streifen
um erst drei Absätze später ihren Sinn zu begreifen.
Und neben dieser Horde von verstümmelten Verbfetzen
lauerten noch and’re Monster in uns’ren Sätzen.
Kaum zu glauben, dass ein Land,
das ja so ziviliert
alles regelt, alles ordnet, alles reguliert
wirklich keine
Substantivkompositamaximallänge
definiert.
In dieser Manier
geht es heiter weiter.
Uns’re Sprache und wir,
ihre Prinzipienreiter,
soll verstehen wer will.
Mark Twain hat kapituliert
und ist dafür, dass man die deutsche Sprache reformiert.
Es sei nicht alles schlecht
jedoch mehr schlecht als recht.
Und falls man ihren Niedergang noch verhindern wollte,
so gäbe es ein paar Punkte, die man verbessern sollte.
Zu allererst gehöre mal das Verb weiter nach vorn
am Ende eines Satzes hätte es gar nichts verlor’n.
(Gründe: siehe oben)
Des weiteren, so rät er uns,
den Dativ aufzugeben.
Schmückender Unsinn!
Man könnt‘ auch ohne ihn gut leben.
Dass die Gefahr eigentlich von ganz andrer Seite droht
– denn im Grunde ist der Dativ doch dem Genetiv sein Tod –
hat er leider übersehen,
aber knapp daneben ist halt auch vorbei
und so kommen wir nun zu seinem Vorschlag Nummer drei
Und der bezieht sich
ums es gelinde auszudrücken
auf den Mangel uns’rer Sprache an Kraftausdrücken.
Das Deutsche sei so sanft
das Deutsche sei so zahm
das Deutsche sei so kraftlos
und nicht zu sagen lahm.
Eine Sprache, deren Flüche so verhalten klingen
dass es gelänge damit Kinder in den Schlaf zu singen.
Er empfiehlt, um diesen Missstand zu kurieren
ein paar Worte aus dem Englischen zu importieren.
Ja, er will uns ernsthaft ein paar Kraftausdrücke gönnen,
damit wir Deutschen endlich auch mal richtig fluchen können.
Und über 100 Jahre später
ist nur eindrucksvoll bewiesen:
Wir haben die Lektion gelernt
trotz aller Kriege, aller Krisen.
Doch was bleibt,
das ist der herbe Nachgeschmack
ob des späten Triumphs des Wörtchens „fuck“.
Lesetipps:
Mark Twain: Bummel durch Deutschland (insel taschenbuch)
Mark Twain: Leben auf dem Mississippi (aufbau taschenbuch)